Das Haus als Metapher für den menschlichen Körper zu verwenden, gefällt mir sehr gut. Viele Menschen können damit etwas anfangen und fühlen sich angesprochen.
Der Körper wird jedoch bei einer Grosszahl der Menschen ganz in den Hintergrund gestellt. Er soll einfach funktionieren, ähnlich einer Maschine oder eines Gerätes.
Selbstverständlich wird der Körper täglich gepflegt und reinlich gehalten. Aber regelmässig gewartet wie unser Personenwagen, den wir mindestens einmal jährlich in den Service bringen, wird der eigene Körper nicht. Vielmehr werden die Signale des Körpers, die er uns tagtäglich aussendet in Form von Hunger- und Durstempfinden, Müdigkeit, Wärme, Kälte etc. aber auch Schmerzen, Unruhe und dergleichen, einfach ignoriert.
Das ist fast so, wie wenn beim Auto das rote Warnlämpchen für den Ölwechsel aufleuchtet. Kleben wir da auch einfach unseren Kaugummi drüber, damit wir das nervige Leuchten nicht mehr sehen? Würden wir dies ignorieren?? Nein, logischerweise nicht!
Bei uns selbst, unserem Körper, praktizieren wir dies jedoch regelmässig! Kaugummi drauf und so tun, als würde das Lämpchen unter der klebrigen Masse nicht mehr leuchten…
Nicht im Körper daheim sein
Sehr oft berichten Menschen, die zu mir in das Coaching oder die Behandlung kommen, davon, häufig neben sich zu stehen, sich von aussen zu betrachten. Sie nehmen den Körper gar nicht richtig wahr oder empfinden sich als fremd im eigenen Körper. Das kann so weit gehen bis zum Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit (Depersonalisation). Diese Menschen befinden sich bereits im Stadium 9 des Burnout Zyklus nach Freudenberger und North (1992), sind also hoch Risikogefährdet und nahe dem Burnout!
Kehren wir nun zum Bild des Hauses zurück. Würden wir bei Gewitter oder Schneesturm einfach Fenster und Türen offen lassen? Nein!
So ein Haus zerfällt, es bildet sich Schimmel oder das Haus wird einfach von fremden Menschen besetzt oder gar geplündert. Das Grundstück um das Haus herum ist gar nicht richtig gekennzeichnet, jeder kann einfach so in den Garten spazieren und alles zertrampeln. Wer will das schon? Und ausserdem:
Wie soll man in so einem Zustand die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen? Oder nur mal merken, was einem gut tut? Ein Ding der Unmöglichkeit!
Mit der Körperwahrnehmungsarbeit lernen ich meinen Kunden bewusst im Körper zu sein. Der Körper wirkt wie ein Seismograph, nimmt kleinste Gefühlsregungen oder gedankliche Verstrickungen auf- und reagiert im Bruchteil einer Sekunde!
Da wir bezogen auf Stress noch wie unsere Vorfahren, die Neandertaler reagieren, aber in einer total anderen Zeit und anderen Umständen leben, ist es kein Wunder, dass wir die Notbremse meist erst dann ziehen, wenn wir schon krank vor Stress sind. Oder eben in unserem gesamten Sein erschüttert sind.
Kleiner Ausflug in die Biochemie
Unsere innere Einstellung/Haltung gegenüber Stress ist ein kleiner Teil im Gesamten. Wenn wir bedenken, dass Auge und Ohr die Haupteintrittstellen für Stressoren sind so wundert es nicht, dass wir durch den alltäglichen unbewussten Stress mehr belastet sind, als wir wahrhaben wollen.
Unsere Biochemie reagiert noch bevor unser Gehirn eine Situation erfasst und gewertet hat! Darum ist Stress auch so sehr körperlich- der Körper reagiert, ob wir wollen oder nicht!
Lernen wir nun bewusst im Körper zu sein und diesen regelrecht zu bewohnen- steigert sich unsere Körperwahrnehmung und unser Körperbewusstsein. Dadurch lernen wir, Stressoren viel früher zu erkennen. Hegen und pflegen wir jedes einzelne Zimmer und auch die Nischen, Estrich und Keller unseres Hauses, kommen wir unseren Glaubenssätzen, also den unbewussten Anteilen, die uns steuern und allenfalls blockieren, auf die Spur. Das gibt Klarheit, ein Verständnis für uns selbst und ermöglicht uns Selbstakzeptanz. Wir sperren nicht alles in eine Rumpelkammer wie beispielsweise unsere Gefühle, die wir einfach runterschlucken oder negieren.
Was wir jetzt oder im Alltag brauchen, stellen wir in erreichbare Nähe. Was erst wieder im Winter vonnöten ist, kommt vorerst mal in den Estrich. Durch diese bewussten Entscheidungen, werden wir handlungsfähig und die Selbstwirksamkeit kehrt zurück, warum? Weil wir gezielter für unsere Bedürfnisse einstehen, uns selber mehr achten und ernst nehmen und Selbstfürsorge betreiben- ganz im Sinne eines gepflegten und belebten Hauses.
Wir lernen zudem für die Zukunft, was uns nach einer stressbehafteten Situation entspannt- weil wir Stress nicht immer vermeiden können und dieser einfach zum Leben gehört. Aber wir lernen sorgsam mit uns selbst umzugehen- das haben ganz viele Menschen seit dem Beginn der Industrialisierung verlernt!
Kleine Körperbewusstseinsübung
Nimm dir einen kurzen Moment Zeit. Setzte, lege oder stelle dich bequem hin. Betrachte Deine beiden Hände möglichst wertfrei und nimm sie wahr. Sind sie kalt? Warm? Ist die Haut rauh, weich, furchig, faltig, schweissig, zart, gerötet, bleich, seidig. Sind deine Hände kräftig, sehnig, pummelig, agil? Lass sich deine Hände berühren. Streiche deine Hände und Finger wie beim einseifen. Magst du die Berührung kraftvoll oder eher fein? Ertaste, erkunde und knete alle Finger und das Handgelenk so, als hättest du diese Hände noch nie in deinem Leben berührt. Probiere aus eine kindlich neugierige innere Haltung einzunehmen beim üben.
Nun streiche die Handinnenflächen gegeneinander und beginne ruhig etwas fester zu reiben, bis Wärme entsteht und du vielleicht sogar ein Kribbeln an den Handinnenflächen wahrnimmst. Lege nun deine Hände mit den Handballen auf die Wangenknochen, dass sie wie zwei schützende Käppchen deine Augen zudecken. Öffnest du die Augen unter deinen Händen kann es ganz dunkel sein. Magst du lieber etwas Licht, dann lege die Hände etwas lockerer auf. Schliesse die Augen einen Moment und lasse sie zur Ruhe kommen. Spürst du die Wärme um deine Augen? Mögen deine Augen den Moment der Dunkelheit? Was empfindest du in deinem Körper?
Nach einer Weile öffnest du langsam die Augen unter deinen Händen. Danach löst du die Hände ebenso langsam vom Gesicht, damit sich die Augen im eigenen Tempo wieder an das Licht gewöhnen können.
Abschliessend nimm wahr, wie die Empfindung in deinen Augen ist. Haben sie sich ein wenig entspannt? Wie ist dein allgemeines Empfinden- bist du innerlich vielleicht etwas ruhiger geworden? Sind deine Gedanken einem Moment zur Ruhe gekommen? War es dir möglich, einen Moment ganz bei dir zu bleiben? Wie hast du die «Begegnung» mit deinem Körper empfunden? Hast du Bewertungen über dich selbst entdeckt?
Diese kleine Übung wird immer wieder als sehr entlastend und entspannend empfunden. Manchmal tauchen aber eben dann, in diesen langsamen Momenten, unangenehme Gefühle, Empfindungen oder Bewertungen auf. Das wird dann als sehr lästig empfunden und verleitet dazu, sich sofort zu verschliessen, sich vom Körper zu entfernen und in die Gedankenwelt zu fliehen.
Aber gerade diese Momente sind so enorm wertvoll! Da kommt etwas an’s Tageslicht, was bislang im Dunkeln verborgen lag. JETZT ist die Zeit reif, um an dem aufgetauchten Thema zu arbeiten- weil es sich gezeigt hat! Körper sei Dank!
Magst Du noch weitere Übungstipps erhalten und mehr über dich selbst erfahren, kontaktiere mich auf info@anneliese-balmer.ch. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit!
Fühlst du dich gestresst und willst entschleunigen lernen? Dann empfehle ich dir meinen Blogartikel Stolperstein Alltag, wenn Pausen fehlen